VEG Champignonzucht Dieskau

Es gab nur wenige Betriebe im alten Saalkreis, die mit dem Namen eines Ortes so verbunden waren wie das VEG Champignonzucht Dieskau. Sein Einsatz für die Forschung und Produktion im Bereich der Pilzzucht war einmalig in der damaligen DDR. Daran zu erinnern, soll Anliegen dieses Artikels sein.

Mein Dank gilt den ehemaligen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen für die mir gegebenen Informationen, besonders gilt er jedoch Herrn Dr. Volkmar Kindt, dem langjährigen Direktor des Betriebes, der mich bei meinen Recherchen mit zahlreichen Hinweisen unterstützte.

Wichtige Unterlagen fand ich auch im Archiv der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Wie alles begann

Vieles liegt im Dunkeln, die Quellenlage undurchsichtig, das Erinnerungsvermögen ehemaliger Mitarbeiter zum Teil widersprüchlich oder lückenhaft. Unbestritten scheint jedoch der Hinweis, dass der in Zwintschöna ansässige Hugo Ehrlich, der in unmittelbarer Nähe des Bahnhofes eine Gärtnerei betrieb, bereits 1910 erste Versuche mit der Champignonzucht unternahm. Leider war wohl seine Arbeit wenig erfolgreich. Ständige notwendige bauliche Nachbesserungen seiner Kellerräume und der 1914 begonnene Erste Weltkrieg trieben ihn bald in den Ruin. Eine Zwangsversteigerung nach dem Inflationsjahr 1923 konnte nicht mehr abgewehrt werden. Ein am Bau beteiligter Baumeister Kurt Klein erwarb den Betrieb, war jedoch ebenfalls nicht erfolgreich. Erst mit der Pachtübernahme vom 1. März 1935 (Inkrafttreten am 1. April 1935) durch die Herren Hähner-Springmühl und Dietrich, die bereits vorher in Eilenburg Champignons züchteten, konnte sich der Betrieb in Zwintschöna erfolgreich entwickeln. Interessant dabei, dass im Pachtvertrag von der Genehmigung „zur gärtnerischen und landwirtschaftlichen Nutzung und sowie zur Nutzung als Champignonzüchterei und Konservenfabrik“ gesprochen wurde. 3000,00 Reichsmark Pacht pro Jahr schienen den Pächtern und dem Eigentümer angemessen.

Aber auch hier war diese Entwicklung nur von kurzer Dauer, da mit dem Zweiten Weltkrieg erneut Schwierigkeiten auftauchten. Nicht nur, dass Dietrich zur Wehrmacht einberufen wurde, sondern auch der dringend benötigte Pferdedung nicht mehr ausreichend zur Verfügung stand. In die leeren Keller lagerten hallesche Firmen ihre Waren luftschutzsicher ein, bis das Heeresverpflegungsamt das Objekt beschlagnahmte. Nach Kriegsende übernahm die Konsumgenossenschaft Halle-Saalkreis einen großen Teil der Räume, ein kleiner Teil verblieb bei den Pächtern, die sich weiter um den Champignonanbau bemühten.

Jetzt endlich schien der Betrieb in ruhiges Fahrwasser zu gelangen. Doch die unruhigen Zeiten waren noch nicht vorüber. Nachdem der Betrieb am 1. Januar 1953 in die Treuhänderschaft der Gemeinde überging, begann eine wahre Odyssee für alle Beteiligten: Der Betrieb gelangte in den Fokus des Institutes für Obst- und Gemüsebaus der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Der damalige Direktor des Institutes, Prof. Dr. Friedrich, hatte schon im Vorfeld an verschiedenen Orten in Halle und der Umgebung Versuche zur Champignonzucht vorgenommen. Da kam ihm das Angebot der Herren Hähner-Springmühl und Dietrich, in den Pachtvertrag von 1935 einzusteigen, gerade recht. Am 1. März 1953 übernahm das Institut den Betrieb, was allerdings beim Staatssekretariat für Hochschulwesen auf strikte Ablehnung stieß (Schreiben vom 15. September 1953 an den Dekan der Landwirtschaftlichen Fakultät).

Unbeeindruckt hiervon verfolgte der Institutsdirektor dennoch sein Ziel, in Dieskau – oder genauer gesagt in Zwintschöna – einen Champignonzuchtbetrieb aufzubauen.

Interessanterweise erfolgte am 1. Dezember 1954 eine weitere vertragliche Vereinbarung, nach der ein großer Teil des Grundstückes wieder vom Institut an Hähner-Springmühl und Dietrich zurückverpachtet wurde, dabei mit folgender Auflage: „Der Pächter erklärt sich bereit, in seinen Anlagen praxisreife Forschungsergebnisse des Institutes aufzunehmen und sich bei den daraus ergebenen Fragen von einem Angehörigen des Institutes beraten zu lassen …“

Damit war der geplante Weg erkennbar: das Streben nach enger Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlicher Forschung und praktischer Umsetzung.

Doch auch jetzt blieb der weitere Weg des Betriebes äußerst beschwerlich. Bittschreiben an die Universitätsleitung, an Regierungsbehörden und das Zentralkomitee der SED begleiteten die Entwicklung Mitte der 50er-Jahre. Dabei ging es auch um so profane Dinge wie die Bitte um Lieferung von 250 Doppelzentner Briketts, 100 Doppelzentner Koks und 500 Doppelzentner Rohbraunkohle (gerichtet an Regierung der DDR, Koordinierungsstelle und Kontrollstelle für Land-, Forst- und Wasserwirtschaft)!

Champignonanbau in Kellerräumen

Um Unterstützung zu erreichen, verwies Institutsdirektor Prof. Friedrich in einem Schreiben an den Rektor der MLU auch auf Erfolge und Ziele des Institutes: „Auf Grund der Arbeit des Institutes konnte der Champignonanbau wesentlich ausgeweitet werden.“ Es wäre ebenfalls daran gedacht, die „Vitamin-B-Versorgung der Schwerstarbeiter sicherzustellen.“ Natürlich sollte auch für den Export produziert werden. Dabei käme selbstverständlich das neu entwickelte Verfahren, „Pilzbrut auf Tabakbasis“ herzustellen, zur Anwendung. Letztlich wünschte er sich, die „Forschungsstätte in Zwintschöna zu einem kleinen, aber arbeitsfähigen Institut auszubauen und dieses der Universität anzugliedern“ (12. Februar 1955).

In der Diskussion der Betriebsleitung mit Regierungsvertretern, Parteigremien der SED und der Universität setzte sich allmählich die Überzeugung durch, dass der Champignonbetrieb zu einem Forschungs-, Lehr- und Musterbetrieb für Champignonkultur zu entwickeln sei. Die Idee von Regierungsvertretern, den Dieskauer Betrieb dem VEB in Torgau (Pilzzucht in Torgau seit 1910) zu unterstellen und nur die „wissenschaftlich arbeitende Gruppe“ beim Institut zu belassen, wurden vom Institutsdirektor erfolgreich abgewiesen (Aktennotiz vom 13. Februar 1956).

In der Zwischenzeit wurde fleißig weiter experimentiert. So gibt es auch Versuche, Champignons auf Torfmull zu ziehen. Wie die Entwicklung zeigte, allerdings wenig erfolgreich.

Eine große Hürde, den Zwintschönaer Betrieb in eine erfolgreiche Zukunft zu führen, war die Tatsache, dass er auf einem Pachtgrundstück stand. Auf dieser Basis, einen sozialistischen Betrieb aufzubauen, ihn zu einem staatlichen Versuchsbetrieb zu entwickeln, von dem aus „die weitere Ausdehnung und Intensivierung der Champignonproduktion … vorangetrieben werden konnte,“ schien unmöglich (Dr. Kindt).

Inwieweit die Eigentümerfamilie Klein eine Enteignung fürchtete, ist nicht bekannt. Sie teilte jedoch auf Nachfrage mit, dass sie grundsätzlich mit einem Verkauf des Grundstückes einverstanden wäre (Schreiben vom 4. Juni 1955).

Daraufhin wurden Schätzungen des Grundstückes vorgenommen. Und am 19. Dezember 1956 wurde tatsächlich ein Kaufvertrag zwischen Kurt Klein, als Bevollmächtigter seiner Tochter als Eigentümerin und Dr. Arnold, als damaliger vertretungsberechtigter Direktor des Dieskauer Betriebes, unterzeichnet. Der Kaufpreis betrug 136.900,00 Deutsche Mark der Deutschen Notenbank. Ein noch bestehender Pachtvertrag der Eigentümerin mit der Konsumgenossenschaft über einen Barackenbau wurde mit allen Rechten und Pflichten übernommen.

Damit waren die Grundlagen geschaffen für den weiteren Aufbau des Betriebes in Dieskau/Zwintschöna.

Mit dem 1. Januar 1957 begann die Zeit des VEG Champignonzucht Dieskau.

Champignonzucht Dieskau im sozialistischen Auftrag

Als sich die Werktätigen des VEB Champignonzucht Dieskau am 22. Mai 1982 zu einer Festveranstaltung versammelten, schauten sie bereits auf eine 25jährige Geschichte ihres Betriebes zurück. Wie der Festredner feststellte, konnten die Werktätigen mit großem Stolz auf das bisher Erreichte zurückblicken. Es ist allerdings davon auszugehen, dass kaum jemand von den Anwesenden sich besonders angesprochen fühlte, wenn sie Sätze wie diese hörten: „Die 25jährige Entwicklung des Betriebes ist fest eingeordnet in die erfolgreiche Agrarpolitik in der DDR, die auf der schöpferischen Anwendung des Leninschen Genossenschaftsplanes beruht.“ Oder: „Mit der Verwirklichung des umfassenden Sozialprogramms veränderten sich die Lebensbedingungen besonders nach dem VIII. Parteitag der SED (1971) auch für die Bürger der Gemeinde Dieskau und die Werktätigen des VEG Champignonzucht spürbar.“ – Es waren Standardsätze, Pflichtübungen für jeden überzeugten und weniger überzeugten Redner in einer solchen Situation. Dass eine Wettbewerbsverpflichtung in Auswertung der Beschlüsse des XII. Bauernkongresses der DDR (1982) vorgenommen wurde, scheint an dieser Stelle der Ausführungen nahezu überflüssig zu erwähnen!

Unabhängig von jenen politischen Einlassungen fanden tatsächlich vorgenommene Maßnahmen des Betriebes bei seinen Mitarbeitern und Bürgern der Gemeinde hohe Anerkennung. So entstanden auf der Grundlage kommunaler Verträge zwei Wohnblöcke im Ortsteil Zwintschöna, wurden eine Arzt-, Kinderarzt- und Zahnarztpraxis sowie ein zahntechnisches Labor eingerichtet. Hinzu kam der Aufbau einer Werkküche, die nicht nur die Betriebsangehörigen versorgte, sondern gleichzeitig den Kindergarten und die Rentnerinnen und Rentner.

Eine Betriebsverkaufsstelle zur Personalversorgung und eine umfangreiche Bücherei standen zur Verfügung. Zählt man hierzu noch die zwei Bungalows in Ziegenrück, in denen sich die Betriebsangehörigen erholen konnten, so verstärkt sich noch das Bild einer besonders erfolgreichen Entwicklung des Dieskauer Betriebes. Doch wissen wahrscheinlich nur die ehemaligen Mitarbeiter, mit welchen Schwierigkeiten diese Erfolge erkämpft worden waren. 1982 konnte darüber selbstverständlich nur in Ansätzen berichtet werden. Offene und freie Meinungsäußerungen zu Problemen des Betriebes lassen sich erst zur Wendezeit vermerken.

Champignonanbau in Tabaktrocknungsanlagen

Unternehmen wir aber vorerst einen Annäherungsversuch an die Geschichte des VEG Champignonzucht Dieskau:

Nach der Trennung von der MLU Halle-Wittenberg übernahm Dr. Werner Arnold, der erste Direktor der Gartenbauausstellung in Markkleeberg und späterer Begründer der Champignonzucht in Coswig, die Leitung des Betriebes. Dr. Volkmar Kindt wurde als wissenschaftlicher Mitarbeiter eingesetzt. Dieser wiederum konnte bereits nach seinem Studium an der landwirtschaftlich-gärtnerischen Fakultät an der Humboldt- Universität Berlin erste Erfahrungen in der Pilzbrutherstellung im staatlichen Champignonzuchtbetrieb Torgau sammeln. Nach der Pensionierung Dr. Arnolds 1967 leitete Dr. Kindt den Betrieb bis zur Wende.

Beschäftigten sich die Mitarbeiter der Champignonzucht in den ersten Jahren vor allem mit dem eigentlichen Pilzanbau und der Propagierung des Champignonanbaus sowie den damit im Zusammenhang stehenden anbautechnologischen Untersuchungen, begann die Pilzbrutherstellung erst zu Beginn der sechziger Jahre – so Dr. Kindt. Mit der 1965 errichteten Anlage zur Pilzbrutherstellung wurde dann die Grundlage geschaffen für die zukünftige Profilierung des Betriebes. Wurden in der gesamten DDR vorher lediglich 20000-30000 Liter Pilzbrut hergestellt, konnten nun mit der neuen Anlage 250000 Liter hergestellt werden, damit war es vorerst möglich geworden, dem wachsenden Bedarf nach Pilzbrut im Land nachzukommen. Ein Brand in einem entstehenden Erweiterungsbau konnte den erfolgreichen Weg des VEG nur kurzfristig hemmen.

Da nach der Schließung der einzigen bisherigen Brutproduktion der DDR in Torgau 1967 nur noch in Dieskau Pilzbrut produziert wurde, kam dem Dieskauer Betrieb eine besonders hohe volkswirtschaftliche Verantwortung zu. Die Zeitung „Das Neue Deutschland“ wusste dazu am 03. Februar 1970 zu berichten: „Die rund 700 Edelpilzproduzenten in der Republik beziehen die Brut ausschließlich aus dem VEG Champignonzucht Dieskau, das sich zu einem international anerkannten Zuchtzentrum entwickelte.“

Begleitet wurde diese Entwicklung durch eine intensive Forschung nach neuen Substraten, auf denen die Pilze wachsen konnten, unabhängig vom traditionellen Stalldung aus der Pferdehaltung.

Champingonbrut - l. Körnerbrut & r. Substrat

Nicht genug damit, setzten bereits zu Beginn der 60er Jahre bemerkenswerte Bemühungen ein, weitere Speisepilzarten neben dem Champignon für den Anbau zu entwickeln. Es seien hier nur von den insgesamt 14 produzierten Sorten der Träuschling (später „Braunkappe“ genannt), der „Schopftintling“ und der „Austerseitling“ hervorgehoben (11 Sorten 1989 noch zugelassen!).

Gerade die Züchtung der Träuschlingsbrut wurde für die Beschäftigten zu einer großen Herausforderung. Ein Student der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität in Halle, der als Praktikant in der Champignonzucht Dieskau arbeitete, widmete sich intensiv der Entwicklung jenes Speisepilzes. Der Erfolg blieb nicht aus. Hohe Nachfragen gerade bei privaten Pilzanbauern ließen die Produktion in die Höhe schießen.

Die Zuchterfolge des VEG erregten auch die Aufmerksamkeit der DDR-Behörden. Sahen sie doch hierin eine weitere Quelle, um an Devisen zu gelangen, da die Pilzbrut auch nach Westberlin und in die BRD exportiert wurde. Das große Interesse an der Abnahme von Träuschlingsbrut in einigen sozialistischen Bruderländern trug ebenfalls zur Steigerung der Produktion in diesen Jahren bei. Allerdings erschienen immer wieder Schwierigkeiten im Produktionsprozess der Pilzbrut. Waren es einmal Schimmelpilze und Nematoden (Fadenwürmer), die bekämpft werden mussten, so konnte für den Rückgang der Produktion besonders in den 80er Jahren die verstärkte Fungizidbehandlung des erforderlichen Getreidestrohs, das als Brutsubstrat benötigt wurde, ausgemacht werden. Trotz der Schaffung einer Reinraumzone 1985/86 für den Anzuchtbereich im Rahmen einer Rekonstruktion des Teiles der Produktionsanlage, der für die Herstellung von Pilzbrut auf der Grundlage von Getreidekörnern als Nährsubstrat bestimmt war, konnten die Probleme aber bei der Herstellung der Träuschlingsbrut nie vollständig überwunden werden.

Die Rekonstruktionsmaßnahmen führten allerdings insgesamt zu einer wesentlichen Erhöhung der Brutkapazität. So wurden im Wendejahr 1989 730000 Liter Pilzbrut erzeugt, wobei über die Hälfte auf die Champignonbrut entfiel. Trotz dieser erfreulichen Entwicklung konnten jedoch wesentliche Probleme in der Pilzbrutproduktion und überhaupt der Pilzproduktion in den vergangenen Jahren nicht übersehen werden. Da eine staatliche Unterstützung zum größten Teil ausblieb und westliche Importe moderner Anlagen nicht gestattet wurden, waren Betriebe – so auch in Dieskau – auf Eigeninitiative, auf eigene Kreativität der Mitarbeiter angewiesen. Ohne ein Experimentieren oder ein Probieren keine Entwicklung! Da halfen auch die vom Staat festgelegten hohen Erzeugerpreise nicht, da der größte Teil der Gewinne wieder abgeführt werden musste.

Als ein Beispiel für Eigeninitiative und Kreativität soll hier die „selbstfahrende Kompostierungsmaschine“ genannt werden (Foto in: „25 Jahre VEG Champignonzucht Dieskau“- Manuskript), die 1981 in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern der Sektion Polytechnik an der MLU Halle-Wittenberg entwickelt und gebaut wurde, eine Technik, die es in den westlichen Ländern allerdings schon längst gab.

Wissenschaftliche Forschung erfolgte prinzipiell im eigenen Betrieb. Da es grundsätzlich allen Pilzbauern in der DDR ähnlich erging, war der Wunsch nach Erfahrungsaustausch groß. Resultat dieses Wunsches war die Gründung einer „Sozialistischen Arbeitsgemeinschaft Champignonanbau“ Ende der 60er Jahre unter der Leitung von Dr. Kindt. Diese Arbeitsgemeinschaft arbeitete bis 1987. Unter der Überschrift „Unscheinbare Pilze mit sagenhaftem Geschmack“ interviewte ein Reporter der „Freiheit“, Organ der SED- Bezirksleitung Halle, am 11. März 1972 Dr. Kindt. Dieser berichtete von 5-Tage-Lehrgänge, an denen bisher bereits über 1000 Pilzbauern aus der ganzen Republik teilnahmen, um über die neusten Forschungsergebnisse und aktuelle Fragen der Pilzzucht zu diskutieren. Mit Stolz verwies er auf russische, polnische und ungarische Einträge im Gästebuch des Betriebes. Auch Züchter aus Indien, Kolumbien und Kanada holten sich Rat – nachweisbar in der Korrespondenzmappe. “Mit der Bildung einer Erzeugergruppe im Jahr 1987 sollte die Arbeit dieser Arbeitsgemeinschaft auf eine qualitativ höhere und von staatlicher Seite stärker beeinflußbare Stufe gebracht werden“, so Dr. Kindt. Ein sogenanntes Technisch-wissenschaftliches Zentrum innerhalb der Erzeugergruppe sollte die Grundlage einer intensiven Forschungsarbeit schaffen. Bis zur Wendezeit blieb diese Entwicklung jedoch mehr Wunsch als Realität. Auch der Wunsch Dr. Kindts 1989/90 nach einem „intensiven Gedanken- und Erfahrungsaustausch“ der DDR-Pilzbauern mit den Spezialisten in der BRD wurde bald von den voranschreitenden geschichtlichen Ereignissen überholt.

Das Ende des VEG Champignonzucht Dieskau

Verhaltene Hoffnung bei weit verbreiteter Ängstlichkeit unter den Beschäftigten prägte die erste Zeit nach der Wende. Es stellte sich sehr schnell heraus, dass die ehemaligen DDR-Betriebe den neuen marktwirtschaftlichen Bedingungen nicht gewachsen waren. Hinzu kam, dass die Bevölkerung Westprodukte bevorzugte, die den Markt in Ostdeutschland überfluteten. Da war kein Platz mehr für die Dieskauer Pilze. Kein Wunder, dass unter diesen Umständen auch der Dieskauer Betrieb in Schwierigkeiten geriet. Der allgemeine Zug, die staatlichen Betriebe wieder in Privateigentum zurückzuführen oder über die Treuhandgesellschaft zu privatisieren, traf auch Dieskau. Ende 1990 wurde der Betrieb privatisiert. Der neue Eigentümer – ein Tischlermeister aus Bayern. Was ihn als Meister der Holzbearbeitung dazu veranlasste, einen Pilzzuchtbetrieb im fernen Dieskau/Zwintschöna zu kaufen, bleibt im Dunkeln. Der wahrscheinlich erhoffte Gewinn blieb leider aus. Sein von ihm eingesetzter Geschäftsführer verkündete noch in einem Artikel der Mitteldeutschen Zeitung vom 23. August 1991 voller optimistischer Überzeugung: „Wurde früher dreigleisig mit Forschung, Pilzbrut und dem Verkauf von Frischware gefahren, beschränken wir uns jetzt hauptsächlich auf die Produktion von Pilzbrut, die auch auf dem internationalen Markt angeboten werden soll. Ich rechne uns gute Chancen aus, denn einen Betrieb vergleichbarer Größe gibt es in der gesamten Bundesrepublik nicht.“

Der eingeschlagene Weg vollzog sich allerdings für viele Mitarbeiter sehr schmerzvoll. Von ca. 100 Angestellten wurden über zwei Drittel entlassen. Wie weiter aus dem Artikel zu entnehmen ist, sollten bis zu 950.000,00 DM investiert werden, um den Betrieb konkurrenzfähig zu machen. Bis Anfang 1992 sollte die Modernisierungsphase abgeschlossen sein. Ziel war, eine Million Liter Pilzbrut herzustellen und zu verkaufen, so der Geschäftsführer im Interview. Allerdings wurden diese Zahlen nie erreicht. Auch die angestrebte Modernisierung des Betriebes blieb in den Ansätzen stecken.

Wie Dr. Kindt, der letzte Direktor des VEG Champignonzucht Dieskau, kommentierte, waren der Zahlungsverzug von Kunden und die von Behörden nicht rechtzeitig erteilte Genehmigung der vom Betrieb geplanten Vorhaben ursächlich für das Scheitern.

1997 wurde so vom Eigentümer die Gesamtvollstreckung beantragt. Damit stand das unwiderrufliche Ende der Champignonzucht in Dieskau/Zwintschöna fest.

Bis heute geistern noch Artikel zum Champignonanbau in Dieskau im Internet. Auch wenn in der Zwischenzeit zum Teil neue Nutzer und Eigentümer auf dem Grundstück der ehemaligen Champignonzucht anzutreffen sind, hoffen doch noch weitere Flächen auf zukünftige Käufer.

In der Zwischenzeit gewinnt die Natur wieder Oberhand über das einst betriebliche Aushängeschild der Gemeinde.

Vergangen – aber nicht vergessen …

Dr. R. A. Niephagen

Auszug aus dem Amtsblatt 5,6,7,8/2019 Kabelsketal